Statue Mann stützt Gesicht in Hand, bildlich für Schuld bei Mord und Totschlag im Strafrecht

Fahrlässige Tötung und versuchter Mord? BGH, Urteil vom 04.08.2021, Az.: 2 StR 178/20

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit versuchtem Mord zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

Link zum Urteil des BGH

 Das Urteil 

  1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 2. Dezember 2019 mit den Feststellungen aufgehoben.
  2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Sachverhalt

Nach den Feststellungen des Landgerichts lebte der Angeklagte zusammen mit seiner Lebensgefährtin, der Zeugin W., und dem gemeinsamen Kind B., dem späteren Tatopfer, in einer gemeinsamen Wohnung. B. war ein Wunschkind der Eltern und wurde von beiden Elternteilen und der weiteren Familie liebevoll betreut. Die Beziehung zwischen dem Angeklagten und seiner Lebensgefährtin wurde von beiden als glücklich empfunden.

In den letzten Tagen vor seinem Tod entwickelte B. einen zeitweise mit Fieber und Durchfall einhergehenden Infekt unklarer Genese, den die Eltern mit einem fiebersenkenden Mittel behandelten. Zwei Tage nach dem Beginn der Symptome, am 8. März 2019, musste die Zeugin W. zur Durchführung einer auf 10.30 Uhr angesetzten Untersuchung ins Krankenhaus. Der Angeklagte begleitete sie dorthin; zuvor hatten beide Eltern B. noch zusammen zur Mutter der Zeugin W. gebracht. Der Angeklagte blieb bis 14.00 Uhr in der Klinik, tätigte anschließend einige Einkäufe und räumte die Wohnung auf. Gegen 16.30 Uhr holte er B. bei dessen Großmutter ab und fuhr mit dem Kind zum Krankenhaus.

  1. war in der Zwischenzeit von seiner Großmutter betreut worden, die über große Erfahrung im Umgang mit Kindern verfügt. Ihr war lediglich aufgefallen, dass er etwas blass war. Wegen festgestellten Fiebers hatte sie B. ein fiebersenkendes Mittel verabreicht und ihn schließlich zum Schlafen gebracht.

Der Angeklagte und B. blieben bis ca. 19.15 Uhr bei der Zeugin W. im Krankenhaus. Diese gab dem Kind um 18.30 Uhr noch eine Flasche Milch, die er jedoch nur zur Hälfte trank. Er wurde zunehmend quengelig, weshalb der Angeklagte den Klinikbesuch abbrach und nach Hause fuhr. Beim Eintreffen dort gegen 19.40 Uhr war B. noch unverletzt.

Die nachfolgenden Stunden bis zu seinem Tod am nachfolgenden Tag um 10.25 Uhr verbrachte B. in der alleinigen Obhut des Angeklagten in der Wohnung. Andere Personen hatten keinen Zugriff auf das Kind. In der Folgezeit kam es zu einer intensiven Kommunikation des Angeklagten mit der Zeugin W. , telefonisch wie auch über „WhatsApp“.

Beginnend ab 19.34 Uhr tauschte man gegenseitig Wertschätzungen aus, die um 20.14 Uhr mit der Bitte der Zeugin endeten, ihr nachher noch ein Foto von B. zu schicken. Acht Minuten später übersandte der Angeklagte das erbetene Foto: Es zeigt einen bettfertig hergerichteten Jungen, mit rosiger Gesichtsfarbe und leicht geröteten Wangen. Den folgenden Nachrichten bis 22.01 Uhr lässt sich insbesondere entnehmen, dass die Zeugin und der Angeklagte sich wechselseitig vermissten.

Zwischen 22.01 Uhr und 22.29 Uhr wachte B. auf und erbrach sich. Der Angeklagte begab sich mit dem Kind in das Badezimmer, zog es aus, und duschte es mit lauwarmem Wasser ab. Als er es abtrocknen wollte, bekam es heftigen Durchfall, der zur Verschmutzung der im Badezimmer ausgelegten Matten führte. Der Angeklagte säuberte B. erneut, zog ihn an und legte ihn auf die Couch. Um 22.29 Uhr rief der Angeklagte bei der Zeugin an, die das Gespräch aber nicht annahm, weil die anderen Patienten im Zimmer schon schliefen. Daraufhin schickte der Angeklagte der Zeugin eine Sprachnachricht, berichtete von den Vorfällen und fragte nach einem Fieberthermometer. Sie gab einen Hinweis auf das Thermometer und bat den Angeklagten, B. noch einmal Fiebersaft zu geben und ihr noch ein Video zu schicken. Das tat der Angeklagte, der zuvor geschrieben hatte, er wolle, dass der „Wurm schnell wieder fit“ werde, und übersandte um 22.46 Uhr ein 30 Sekunden langes Video.

Das Video zeigt B., in eine Decke gewickelt in Seitenlage auf der Couch. Die Hautfarbe ist rosig, die Atmung spontan, die Augen sind leicht geöffnet und ändern die Blickrichtung. Beim Ausatmen hört man ein leichtes „Anstoßen“. Nach den Feststellungen der Strafkammer erlaubte dieser auf dem Video dokumentierte Zustand keine sicheren Feststellungen, ob B. zu diesem Zeitpunkt bereits verletzt war.

Um 23.36 Uhr gab es eine erneute Kommunikation zwischen dem Angeklagten und der Kindesmutter, die schließlich fragte, ob sie nach Hause kommen solle. Der Angeklagte antwortete um 0.33 Uhr, das sei nicht erforderlich, B. schlafe seit 15 Minuten. Um 1.03 Uhr übersandte der Angeklagte ein weiteres Video mit der Überschrift: „Er war seit 0.45 Uhr wach“. Es zeigte das Kind in Rückenlage, die Arme leicht abgewinkelt, ohne Bewegung, mit rosiger Hautfarbe und deutlichen Anzeichen einer zentralen Atemstörung. Dabei war die Atmung spontan, jedoch von unregelmäßigen, teils längeren Pausen unterbrochen. Das Einatmen erfolgte in Form einer Schnappatmung, es war zudem ein deutliches Seufzen zu hören.

Während der Zeit der alleinigen Obhut des Angeklagten ab 19.40 Uhr, aller Wahrscheinlichkeit nach entweder im Zusammenhang mit den Vorgängen im Badezimmer oder danach, jedenfalls bis spätestens zur Versendung des Videos um 1.03 Uhr erlitt B. einen massiven Bruch des rechten, das Schädeldach und den größten Teil der Seitenwand des Schädels bildenden „os parietale“. B. reagierte auf das Trauma entweder mit heftigem Schreien oder sofortiger Bewusstlosigkeit. Die Verletzung verursachte eine Einblutung unter der harten Hirnhaut, in deren Folge sich eine Hirnschwellung entwickelte. Die Volumen- und Druckzunahme führte – entweder sofort oder nach einer Phase der Bewusstseinstrübung – zur Bewusstlosigkeit und Sauerstoffmangelversorgung und hatte letztlich den Tod zur Folge.

Dass die Schädelfraktur Folge einer tätlichen Einwirkung des Angeklagten war, konnte das Landgericht nicht sicher feststellen. Sollte es zu einer solchen Einwirkung aber gekommen sein, hat die Strafkammer für diesen Fall ausgeschlossen, dass der Angeklagte hierbei mit Tötungsvorsatz handelte. Nicht ausschließbar entstand die Schädelverletzung jedoch im Rahmen eines Unfalls in Form eines Sturzereignisses aus jedenfalls mittlerer Sturzhöhe, bei dem das Kind infolge Unaufmerksamkeit oder Ungeschick des Angeklagten zu Boden fiel. Bei Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt hätte der Angeklagte den Sturz von B. vermeiden können und müssen. Ob sich dem Angeklagten bereits unmittelbar nach einem solchen Sturz die Einsicht aufdrängen musste, dass B. lebensgefährlich verletzt war und sofortiger ärztlicher Hilfe bedürfe, konnte die Strafkammer angesichts des Umstands, dass das Kind keine äußerlich sichtbaren Verletzungen aufwies und die sich zu diesem Zeitpunkt konkret zeigende Symptomatik nicht aufgeklärt werden konnte, nicht sicher feststellen. Im weiteren Verlauf aber zeigte B. die auf dem um 1.03 Uhr an die Kindesmutter versandten Video erkennbaren dramatischen, den beginnenden Sterbeprozess kennzeichnenden Symptome. Diese ließen in Verbindung mit dem Verletzungsgeschehen aus Sicht eines medizinischen Laien und auch des Angeklagten nur den Schluss zu, dass das Kind lebensgefährlich verletzt war und sofortiger ärztlicher Hilfe bedurfte. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass die Verletzungen so schwer waren, dass auch ein Arzt B. nicht mehr hätte helfen können, lagen demgegenüber aus Sicht des Angeklagten nicht vor. Vielmehr hielt er es zumindest für möglich, dass B. bei sofortiger ärztlicher Hilfe hätte gerettet werden können.

Trotz dieser Erkenntnis sah der Angeklagte von einem Notruf ab. Die durch den von ihm verschuldeten Unfall entstandene Situation bedeutete für ihn nämlich einen schwerwiegenden Konflikt. Einerseits hielt er sich für einen verantwortungsvollen Vater, dem eine Sorgfaltspflichtverletzung der hier vorliegenden Art nicht hätte unterlaufen dürfen. Andererseits war ihm der Gedanke, dies seiner Lebensgefährtin offenbaren zu müssen, unerträglich. Da er die Entdeckung seines Fehlverhaltens im Zuge einer ärztlichen Untersuchung befürchtete, entschied er sich deshalb, die weitere Entwicklung ohne Einschaltung eines Arztes abzuwarten. Das Risiko, dass B. gerade infolge des Ausbleibens ärztlicher Behandlung versterben würde, nahm er hierbei – wenn auch als unerwünschte Folge seiner Untätigkeit – billigend in Kauf. Hierbei gab er sich der vagen Hoffnung hin, B. werde den Unfall auch ohne ärztliche Hilfe unbeschadet überleben.

Den Angeklagten trieb die Sorge um, dass die Kindsmutter ihm in dem Fall, dass B. entgegen seiner Hoffnung an den Folgen des Verletzungsgeschehens versterben würde, Vorwürfe machen würde, dass er keinen Arzt eingeschaltet habe. Vor diesem Hintergrund schickte er der Kindesmutter deshalb das Video von B., vor allem, um sich eine „Art Absolution“ für die Nichteinschaltung eines Arztes zu verschaffen und die Mutter des Kindes in die Verantwortung von B. mit einzubinden. Diese nahm das Video – in Unkenntnis des Sturzgeschehens – nicht zum Anlass, den Angeklagten zur Herbeiholung ärztlicher Hilfe zu veranlassen. Sie zeigte sich um 2.31 Uhr und um 3.50 Uhr zwar besorgt, brachte den Zustand des Kindes aber nicht mit einem (ihr nicht bekannten) Sturzgeschehen, sondern mit einer möglichen Infektion mit Rotaviren in Zusammenhang. Mit Blick hierauf teilte sie dem Angeklagten um 4.59 Uhr mit, dass sie deswegen mit B. ins Krankenhaus müssten.

Der Zustand des Kindes verschlechterte sich in den folgenden Stunden infolge des weiter steigenden Hirndrucks. Die Schnappatmung flachte ab und wurde schwächer. Auch stellte sich bei dem Kind – sollte es nicht sofort bewusstlos geworden sein – zunehmend eine Bewusstseinstrübung ein, zudem kühlte sein Körper infolge der Sauerstoffmangelversorgung allmählich aus. Diese Umstände gaben dem Angeklagten keine Veranlassung, nunmehr ärztliche Hilfe herbeizuholen. Auf die Nachrichten seiner Lebensgefährtin reagierte er nicht. Erst um 8.05 Uhr schrieb er ihr, dass B. von eins bis halb vier und ab vier Uhr wieder geschlafen habe. B. sei „eisekalt“ und atme ganz komisch, er wolle ihn schlafen lassen, bis er (B.) wach werde, um ihn ins Krankenhaus zu bringen. Daraufhin rief sie an, es folgte ein fast zwanzigminütiges Gespräch, dessen näherer Inhalt nicht geklärt werden konnte. B. erlangte das Bewusstsein nicht mehr und verstarb zwischen 8.30 Uhr und 10.25 Uhr.

In weiteren Nachrichten thematisierte der Angeklagte die Atmungsprobleme von B. und seine niedrige Körpertemperatur. Er versuchte, seine Lebensgefährtin im Übrigen davon zu überzeugen, dass B. einen fiebrigen Infekt habe. Auf deren Bitte, ihm ein Video zu schicken, übersandte er ihr um 9.13 Uhr lediglich ein Foto, das B. in rechter Seitenlage und in eine Decke gehüllt zeigte, wobei nur das Gesicht mit geschlossenen Augen und bläulich verfärbten Lippen zu sehen war. Als die Kindesmutter ihm anschließend mitteilte, sie werde nach einer Untersuchung nach Hause kommen, geriet der Angeklagte unter Handlungsdruck. Er war ratlos, wie er aus der verfahrenen Situation herauskommen könne, und blieb fast noch eine Stunde untätig. Kurz nach 10.00 Uhr entschloss er sich dann, mit B. ins Krankenhaus zu fahren. Dies schien ihm die sinnvollste Vorgehensweise, um etwaigen Vorwürfen vorzubeugen, er habe sich nicht ausreichend um die Rettung von B. bemüht. Dabei war ihm bewusst, dass eine Rettung zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich war. Er machte sich auf den Weg und teilte dies der Zeugin W. um 10.07 Uhr bereits aus dem Auto mit. Diese forderte ihn auf, umzukehren und die Feuerwehr zu benachrichtigen. Der Angeklagte tat dies und setzte um 10.11 Uhr den ersten Notruf ab. Er berichtete von der schlechten Atmung des Kindes, dessen Fieber am Vorabend und zudem, dass es am Morgen „sehr, sehr kalt“ gewesen sei. Um 10.16 Uhr folgte ein weiterer Notruf, bei dem der Angeklagte aufgeregt schilderte, dass B. jetzt gar nicht mehr oder nur ganz wenig atme. Der Mitarbeiter gab in der Folge Anweisungen für eine Mund-zu-Mund-Beatmung und eine Herzdruckmassage, die der Angeklagte jedenfalls teilweise nicht befolgte. Schließlich endete das Gespräch, nachdem um 10.24 Uhr in kurzer Aufeinanderfolge Rettungssanitäter und ein Notarzt erschienen waren und die Reanimation fortsetzten. Der Notarzt fand B. ohne Atemtätigkeit und ohne Kreislaufaktivität vor, seine Körpertemperatur betrug noch 34,5 Grad. Eine mehr als 40-minütige Reanimation blieb ohne Erfolg. Todesursache war ein aufgrund des Schädel-Hirn-Traumas entstandenes Hirnödem, in dessen Folge es zu einer Störung des zentralen Nervensystems mit einer Atemdepression bzw. einem Atemstillstand gekommen war. Ob das Leben von B. bei Hinzuziehung ärztlicher Hilfe ab 1.03 Uhr noch hätte gerettet werden können, hat das Landgericht nicht sicher feststellen können.

Urteilsgründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen des von ihm fahrlässig verursachten Verletzungsgeschehens wegen fahrlässiger Tötung und im Hinblick auf die ab 1.03 Uhr unterlassene Herbeiholung ärztlicher Hilfe wegen eines in Tateinheit stehenden versuchten Verdeckungsmordes verurteilt. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

  1. Ohne Rechtsfehler hat die Schwurgerichtskammer zwar angenommen, dass der Angeklagte fahrlässig ein Sturzereignis herbeiführte, in deren Folge es zu einem Schädel-Hirn-Trauma und einer sich anschließenden Sauerstoffmangelversorgung und schließlich zum Tod des Kindes kam. Auch ist die Strafkammer rechtlich unbedenklich davon ausgegangen, dass er es ab 1.03 Uhr und in der Folgezeit unterließ, die gebotene ärztliche Hilfe herbeizuholen. Sie hat allerdings mit nicht rechtsfehlerfreien Erwägungen das Vorliegen bedingten Tötungsvorsatzes angenommen.
  2. a) Bedingter Tötungsvorsatz ist gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes eines anderen Menschen abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement). Bewusste Fahrlässigkeit liegt dagegen vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten.

Ob der Täter nach diesen rechtlichen Maßstäben bedingt vorsätzlich gehandelt hat, ist in Bezug auf beide Elemente im Rahmen der Beweiswürdigung umfassend zu prüfen und durch tatsächliche Feststellungen zu belegen. Die Prüfung, ob Vorsatz oder (bewusste) Fahrlässigkeit vorliegt, erfordert eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, wobei es vor allem bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements regelmäßig erforderlich ist, dass sich der Tatrichter mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und dessen psychische Verfassung bei der Tatbegehung, seine Motivation und die für das Tatgeschehen bedeutsamen Umstände – insbesondere die konkrete Angriffsweise – mit in Betracht zieht. Bei der Gesamtwürdigung hat das Tatgericht auch die im Einzelfall in Betracht kommenden, einen Vorsatz in Frage stellenden Umstände in seine Erwägungen einzubeziehen.

  1. b) Diese Grundsätze gelten sowohl für Begehungsdelikte als auch für Unterlassungstaten. Gegenstand des Vorsatzes müssen bei Unterlassungen neben der Untätigkeit die physisch-reale Handlungsmöglichkeit, der Eintritt des Erfolges, die Quasi-Kausalität sowie die die objektive Zurechnung begründenden Umstände sein. Hinsichtlich der hypothetischen Kausalität genügt bedingter Vorsatz dahingehend, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, sein Eingreifen könne den Erfolg abwenden.
  2. c) Diesen Anforderungen wird das Landgericht nicht gerecht. Es hat weder den kognitiven noch den voluntativen Tötungsvorsatz des Angeklagten fehlerfrei begründet.
  3. aa) Hinsichtlich des Wissenselements ist das Landgericht davon ausgegangen, dass sich B. spätestens ab 1.03 Uhr in Lebensgefahr befand. Dem Angeklagten sei dies spätestens um diese Zeit in Anbetracht der dramatischen Symptomatik und des ihm bekannten vorangegangenen Ereignisses klar geworden. Dies zu erkennen hätte es auch keiner medizinischen Fachkenntnisse bedurft. Das Risiko, dass sich Säuglinge nicht nur bei einer aktiven Gewalteinwirkung, sondern auch bei einem Sturz aus zumindest mittlerer Höhe schwerwiegend, auch lebensgefährlich, verletzen könnten, dränge sich jedem Sorgeberechtigten, der Zeuge eines solchen Geschehens werde, unabweisbar auf. Die sich bei B. ab 1.03 Uhr einstellende dramatische Symptomatik habe den Angeklagten zusätzlich in der Sorge bestärken müssen, dass das Kind schwer verletzt und in Lebensgefahr sei.

Diese Beweiswürdigung der Schwurgerichtskammer zum Wissenselement erweist sich als rechtlich durchgreifend bedenklich. Sie hat ihre Überzeugung jedenfalls auch damit begründet, dass sich der Angeklagte der sich ab 1.03 Uhr bei B. einstellenden dramatischen Symptomatik bewusst geworden sei. Dabei ist sie – gestützt auf Erwägungen eines medizinischen Sachverständigen – davon ausgegangen, dass sich der auf dem Video um 1.03 Uhr zu sehende (besorgniserregende) Zustand auch jedem medizinisch nicht vorgebildeten Betrachter erschließe. Dies steht in einem nicht aufzulösenden Widerspruch zu der an anderer Stelle im Urteil zu findenden Erwägung des Landgerichts, die Untätigkeit der Zeugin W. trotz Kenntnisnahme des Videos sei verständlich und zu entschuldigen, weil ihr zum Erkennen des lebensgefährlichen Zustands, in dem sich B. befunden habe, mit dem Sturzgeschehen eine entscheidende Information gefehlt habe. Denn diese Erwägung beinhaltet die konkludente Feststellung, dass allein aufgrund des im Video wahrnehmbaren Erscheinungsbildes – B. wies keine äußerlich erkennbaren Verletzungen auf – der bedrohliche Zustand des Kindes für die Zeugin nicht zu erkennen war. Warum der über das Video vermittelte Eindruck von dem Kind einerseits nicht zur Erkennbarkeit des lebensgefährlichen Zustands durch die Zeugin W., andererseits aber im Zusammenhang mit der Kenntnis von einem Sturzgeschehen, das zu keinen äußerlichen Verletzungen geführt hat, die Wahrnehmung einer „dramatischen Symptomatik“ bei B. durch den Angeklagten nach sich gezogen haben soll, erschließt sich dem Senat anhand der Urteilsgründe nicht.

  1. bb) Hinsichtlich des voluntativen Vorsatzelements ist die Schwurgerichtskammer davon ausgegangen, dass der Angeklagte bei seiner Untätigkeit den Tod von B. billigend in Kauf genommen habe. Dies sei allerdings nicht aus Gleichgültigkeit gegenüber dem Kind geschehen, dieser sei ihm vielmehr unerwünscht gewesen. Der Angeklagte habe bei Einräumung oder Offenbarung seines vorangegangenen Fehlverhaltens beim Sturz des Kindes jedenfalls dann, wenn B. versterben würde, befürchtet, dass die Beziehung zur Zeugin W. in die Brüche gehen würde. Er habe deshalb nicht den Mut gefunden, ärztliche Hilfe herbeizuholen, sondern habe sich der durch nichts begründeten Hoffnung hingegeben, B. werde den Unfall auch so überleben. Das Risiko, das sein Untätigbleiben B. das Leben kosten würde, habe er um des Handlungsziels willen – die Beziehung zur Zeugin W. nicht zu gefährden – billigend in Kauf genommen.

Diese Beweiswürdigung zum Willenselement des bedingten Vorsatzes begegnet rechtlichen Bedenken. Sie weist Lücken auf, weil sie wesentliche vorsatzkritische Umstände nicht in den Blick nimmt und es zudem an einer tragfähigen Grundlage für das angenommene Handlungsziel des Angeklagten fehlt, er wolle bei seinem Untätigbleiben die Beziehung zur Kindesmutter nicht gefährden. Die Schwurgerichtskammer hat zum einen nicht berücksichtigt, dass für eine Vertuschung seines vorangegangenen Fehlverhaltens der Eintritt des Todes von B. nicht erforderlich war, ihm vielmehr daran gelegen sein konnte, dass der Tod gerade nicht eintritt. Das Landgericht hat zum anderen aus dem Blick verloren, dass der Angeklagte gerade für den Fall, dass B. versterben würde, befürchtete, die Beziehung zur Zeugin W. zu gefährden. Auch dieser Umstand könnte insoweit dafür sprechen, dass der Angeklagte den Tod von B. als möglichen Auslöser für die von ihm aus seiner Sicht zu verhindernde Beendigung seiner Beziehung zur Zeugin W. nicht billigend in Kauf genommen hat, und hätte deshalb vorsatzkritisch ausdrücklicher Erörterung bedurft. Darüber hinaus fehlt es an hinreichenden Überlegungen zum angenommenen Handlungsziel des Angeklagten, er wolle die Beziehung zur Zeugin W. nicht gefährden. Die Schwurgerichtskammer nimmt zwar die von beiden als glücklich empfundene Beziehung in den Blick, ebenso aber auch, dass B. ein gemeinsames Wunschkind war, um das sich beide intensiv und liebevoll kümmerten. Dass für den Angeklagten in der konkreten Situation in der Tatnacht die Beziehung zu seiner Lebensgefährtin von größerem Gewicht war und ihn trotz erkannter Todesgefahr für das gemeinsame Wunschkind verleitet haben soll, das Risiko des Versterbens ohne tatsachenbasierte Hoffnung einzugehen, versteht sich angesichts des unauffälligen Vorlebens des Angeklagten und einer vom Sachverständigen attestierten ausbalancierten Persönlichkeit nicht von selbst. Das Landgericht hätte sich deshalb eingehender als geschehen mit der Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten und der konkreten Beziehung zu seiner Lebensgefährtin auseinander setzen müssen.

  1. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich für den Fall, dass das Landgericht wieder zur Annahme bedingten Tötungsvorsatzes gelangen sollte, darauf hin, dass auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen auch die Annahme von Verdeckungsabsicht weiterer Erörterung bedarf.

Zwar liegt ein Fall vor, in dem grundsätzlich auch bei lediglich bedingtem Tötungsvorsatz das Vorliegen des Mordmerkmals der Verdeckungsabsicht in Betracht kommt, denn der Tod des Kindes ist aus Sicht des Angeklagten nicht unabdingbare Voraussetzung der erstrebten Verdeckung. Allerdings ist eingehender als bislang geschehen zu erörtern, ob der Angeklagte tatsächlich in der Absicht gehandelt hat, den vorangegangenen Sorgfaltspflichtverstoß im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB zu verdecken. So führt das Landgericht für seine Annahme zwar zu Recht an, der Angeklagte habe bei Einschaltung eines Arztes damit rechnen müssen, dass bei einer Untersuchung des Kindes die sturzbedingten, auf seine mangelnde Sorgfalt zurückzuführenden Verletzungen von B. entdeckt worden wären, und schließt daraus nachvollziehbar, der Angeklagte habe mit der Nichteinschaltung von Ärzten den ihm zur Last gelegten Sorgfaltspflichtverstoß verdecken wollen. Die Schwurgerichtskammer befasst sich aber nicht mit den konkreten Vorstellungen des Angeklagten im Hinblick auf den weiteren Geschehensablauf. Hatte er etwa die Vorstellung, er werde auch bei später gegebenenfalls erfolgender Einschaltung von Ärzten einen Sturz als Ursache für die Verletzung des Kindes „vertuschen“ können, bestünden insoweit keine Zweifel am Vorliegen von Verdeckungsabsicht. War ihm aber bewusst, dass jedenfalls dann mit der Aufdeckung seines Fehlverhaltens zu rechnen ist, zielte die Tötung von B. nicht auf die Verhinderung des Bekanntwerdens seiner Tat, sondern lediglich (verbunden mit der Hoffnung, der Tod werde nicht eintreten) auf eine zeitliche Verzögerung der Aufdeckung, die insoweit vom Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht nicht erfasst wäre.