Gefährliche Körperverletzung? BGH, Beschluss vom 16. Januar 2013, Az.: 2 StR 520/12
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung, wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung, wegen vorsätzlicher Körperverletzung und wegen versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
Das Urteil
- Im Rahmen des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB ist vor allem die individuelle Schädlichkeit der Einwirkung gegen den Körper des Verletzten (hier: Schläge in das Gesicht und gegen den Kopf) zu berücksichtigen.
- Eine individuelle, auf die Person des Geschädigten bezogene besondere Schädlichkeit der Einwirkung ist nicht ausreichend mit der Erwägung dargetan, dass in einem möblierten Zimmer damit zu rechnen sei, dass der Geschädigte aufgrund eines wuchtigen Schlages das Gleichgewicht verliert und mit dem Kopf gegen einen Einrichtungsgegenstand prallen könnte.
Sachverhalt
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Der Angeklagte schlug seine 16-jährige Stieftochter im November 2010, nachdem sie sich geweigert hatte, ihr Handy an ihn herauszugeben, so heftig in das Gesicht, dass sie mit dem Kopf gegen die Bettumrandung stieß. Als sie sich danach in den Waschraum des Hauses begab, schlug er sie nochmals, dieses Mal mit der Faust, gegen den Kopf, sodass die Zeugin kurzzeitig das Bewusstsein verlor. Kurz danach hatte die Zeugin in der Schule einen Zusammenbruch und musste notärztlich versorgt werden.
Urteilsgründe
Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
- Die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB in Tateinheit mit versuchter Nötigung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
- Die rechtliche Wertung der Strafkammer, der Angeklagte habe durch die Schläge in das Gesicht und gegen den Kopf den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung verwirklicht, wird durch diese Feststellungen nicht hinreichend belegt. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB setzt voraus, dass die Körperverletzung „mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung“ begangen wird. Erforderlich, aber auch genügend ist hierfür, dass die Art der Behandlung durch den Täter nach den Umständen des Einzelfalls (generell) geeignet ist, das Leben zu gefährden. Dabei ist vor allem die individuelle Schädlichkeit der Einwirkung gegen den Körper des Verletzten zu berücksichtigen.
- Zwar können grundsätzlich auch Schläge mit der bloßen Hand in das Gesicht oder gegen den Kopf des Opfers eine das Leben gefährdende Behandlung in diesem Sinne sein. Dies setzt jedoch Umstände in der Tatausführung oder individuelle Besonderheiten beim Tatopfer voraus, welche das Gefahrenpotential der Handlung im Vergleich zu einer „einfachen“ Körperverletzung (§ 223 StGB) deutlich erhöhen. Die Rechtsprechung hat dies etwa angenommen bei mehreren wuchtigen Faustschlägen gegen den Kopf eines neun Wochen alten Säuglings, bei massiven Schlägen gegen den Kopf des (alkoholisierten) Tatopfers sowie bei zahlreichen Schlägen in das Gesicht und gegen den Kopf einer an einer Hauswand fixierten Geschädigten, die zu längerer Bewusstlosigkeit und schweren Verletzungen führten.
- Die getroffenen Feststellungen belegen solche, eine Gefahr für das Leben des Opfers potentiell begründenden Umstände nicht. Mit der Erwägung des Landgerichts, es sei in einem möblierten Zimmer „damit zu rechnen, dass die Geschädigte aufgrund des wuchtigen Schlages das Gleichgewicht verliert und hierbei, wie geschehen, mit dem Kopf gegen einen Einrichtungsgegenstand prallt“, ist die individuelle, auf die Person der Geschädigten bezogene besondere Schädlichkeit der Einwirkung durch den Angeklagten nicht ausreichend dargetan. Abgesehen davon, dass sich aus der in der Beweiswürdigung wiedergegebenen Aussage der Geschädigten anders als aus den Feststellungen nicht ergibt, dass sie mit dem Kopf gegen die Bettumrandung gefallen ist, begab sie sich nach diesem Vorfall in den Waschraum, um Kleidungsstücke zu holen, ohne dass körperliche Beeinträchtigungen festzustellen waren. Dass der im Waschraum geführte Faustschlag eine kurzzeitige Bewusstlosigkeit der Geschädigten zur Folge hatte, reicht für sich allein ebenfalls nicht aus, um die Eignung zur Lebensgefährdung zu belegen, zumal die Geschädigte unmittelbar anschließend nach einem weiteren Wortwechsel mit dem Angeklagten in die Schule ging. Im Übrigen ist zum Vorsatz des Angeklagten nicht ausreichend dargetan, dass er bei Ausführung der von ihm konkret gewollten und umgesetzten Tathandlungen die allgemeine Gefährlichkeit seines Tuns in der konkreten Situation für das Leben des Opfers erkannte.
- Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Schuldspruchs. Dessen Abänderung dahin, dass sich der Angeklagte in diesem Fall (nur) der vorsätzlichen Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) schuldig gemacht hat, kommt nicht in Betracht, denn der Senat kann nicht ausschließen, dass noch weitergehende Feststellungen getroffen werden können, die den Qualifikationstatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB belegen. Mit der Aufhebung des Schuldspruchs entfällt die entsprechende Einzelstrafe; auch die Gesamtstrafe kann daher keinen Bestand haben.