Gefährliche Körperverletzung? BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2022, Az.: 2 StR 267/22
Das Landgericht hat einen Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Mit der Verurteilung war der Angeklagte nicht einverstanden. Das Gericht hätte aus Sicht des Angeklagten formelles und materielles Recht verletzt. Deswegen erhob der Angeklagte Revision und hatte mit der Sachrüge Erfolg.
Das Urteil
- Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 8. März 2022 mit den Feststellungen aufgehoben.
- Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Sachverhalt
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Am 26. Mai 2021 trafen sich der Angeklagte und der Nebenkläger sowie weitere Personen in der Wohnung des Zeugen Z.. Anlass für dieses Zusammentreffen war eine zwischen beiden geplante Aussprache, nachdem dem Angeklagten zuvor zugetragen worden war, der Nebenkläger behaupte, die Verlobte des Angeklagten, die Zeugin P., würde ihm, dem Nebenkläger, „schöne Augen machen“.
Der Nebenkläger ist seit vielen Jahren alkoholkrank und leidet an Leberzirrhose. Als Folge der Erkrankung sind seine Bewegungen, sein Gang sowie seine Sprache verlangsamt und „es kommt immer wieder dazu, dass er zu Boden stürzt und sich dabei Verletzungen an exponierten Stellen seines Körpers zuzieht.“
Bei dem Angeklagten liegt ein „Abhängigkeitssyndrom von Alkohol“ vor, darüber hinaus eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit emotiona linstabilen, dissozialen und paranoiden Anteilen. Bereits vor seiner Ankunft in der Wohnung des Zeugen Z. hatte der Angeklagte Alkohol in Form eines Wodka-Fanta-Gemisches konsumiert. Den Konsum dieses Getränks setzte er während des Aufenthalts in der Wohnung des Zeugen Z. fort. Die genauen Trinkmengen hat das Landgericht nicht festzustellen vermocht.
In der Wohnung des Zeugen Z. stellte der Angeklagte den Nebenkläger zur Rede und schlug diesem entweder mit der Faust, mit der flachen Hand oder auch der Handkante mehrmals kraftvoll gegen den Schädel und das Gesicht. Der Aufforderung des Angeklagten folgend entschuldigte sich der Nebenkläger anschließend telefonisch bei der Zeugin P. Im weiteren Verlauf schliefen der Angeklagte und der Nebenkläger – aneinander gelehnt auf einer Couch sitzend – ein. Nachdem sowohl der Angeklagte als auch der Nebenkläger zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt wieder aufgewacht waren, versetzte der Angeklagte dem Nebenkläger erneut mehrere Schläge. Dabei schlug er „überwiegend“ auf die bereits verletzten Stellen in dessen Gesicht und an dessen Schädel, so dass der Nebenkläger blutete. Die Anzahl der Schläge war nicht feststellbar, ebenso nicht, auf welche Art sie ausgeführt wurden. Durch die von dem Angeklagten gegen den Nebenkläger geführten Schläge erlitt dieser ein sog. Monokelhämatom des linken Auges einhergehend mit einer Unterblutung der Augapfelbindehaut, Einblutungen der linken Mundregion einhergehend mit Zahnabdruckverletzungen der linken Unterlippe, drei Hämatome der linken Gesichtshälfte, eine Einblutung des linken Ohres sowie weitere diffus verteilte Hautrötungen der linken Gesichtshälfte und des rechten Oberlides.
Darüber hinaus wies der Nebenkläger weitere Verletzungen auf, „deren Verursachung durch den Angeklagten nicht sicher feststellbar war“. Unter anderem zog er sich eine stark blutende Wunde an der Stirn in Form einer dreieckigen Prellmarke zu, als er zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt von der Couch unter den Tisch rutschte. Überdies wurde bei dem Nebenkläger eine Unterblutung der harten Hirnhaut über der rechten Großhirnhalbkugel festgestellt, die zu einer Hirnstammeinklemmung mit anschließender Hemiparese führte.
Urteilsgründe
Die Revision des Angeklagten hat bereits mit der Sachrüge Erfolg; auf die Verfahrensbeanstandungen kommt es daher nicht an. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe eine gefährliche Körperverletzung im Sinne des § 224 Abs.1 Nr. 5 StGB begangen, wird weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht von den Feststellungen getragen und lässt sich auch mit dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht begründen.
- Eine gefährliche Körperverletzung im Sinne des § 224 Abs.1 Nr. 5 StGB setzt eine Körperverletzung „mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung“ voraus.
Zwar muss die Tathandlung nicht dazu führen, dass das Opfer der Körperverletzung tatsächlich in Lebensgefahr gerät; jedoch muss die jeweilige Einwirkung durch den Täter nach den Umständen generell geeignet sein, das Leben des Opfers zu gefährden. Maßgeblich ist danach die Schädlichkeit der Einwirkung auf den Körper des Opfers im Einzelfall.
Um die gegenüber der einfachen Körperverletzung nach § 223 Abs.1 StGB höhere Strafandrohung begründen zu können, kommt es maßgebend auf die Gefährlichkeit der Behandlung, nicht aber auf die eingetretenen Verletzungen an. Heftige Schläge gegen den Kopf des Opfers können eine das Leben gefährdende Behandlung darstellen, wenn sie nach der Art der Ausführung der Verletzungshandlungen im Einzelfall zu lebensgefährlichen Verletzungen führen können.
- Hiervon ausgehend belegen die Gründe des angefochtenen Urteils nicht, dass die durch den Angeklagten ausgeführten Schläge in objektiver Hinsicht potentiell eine Gefahr für das Leben des Nebenklägers begründeten. Dies ist weder ausdrücklich festgestellt noch ergibt sich dies aus den erlittenen Verletzungen oder aus der mitgeteilten Vorschädigung des Nebenklägers.
- a) Konkrete Feststellungen zur Art und Weise, wie der Angeklagte den Nebenkläger schlug, hat die Strafkammer nicht treffen können: Zwar habe der Angeklagte – entgegen seiner Einlassung – dem Nebenkläger mindestens drei heftige Schläge gegen den Kopf versetzt. Es sei aber nicht auszuschließen, dass der Angeklagte jeweils (lediglich) mit der flachen Hand schlug. Grundsätzlich können auch Schläge mit der bloßen Hand in das Gesicht oder gegen den Kopf des Opfers eine das Leben gefährdende Behandlung sein; dies setzt jedoch Umstände in der Tatausführung oder individuelle Besonderheiten beim Tatopfer voraus, welche das Gefahrenpotential der Handlung im Vergleich zu einer „einfachen” Körperverletzung (§ 223 StGB) deutlich erhöhen.
Die auf die Ausführungen des Sachverständigen gestützte Feststellung, dass auch fest ausgeführte Schläge mit der flachen Hand „durchaus geeignet seien, schwerere Verletzungen hervorzurufen“, belegt nicht, dass die konkreten Schläge des Angeklagten gefährlich im Sinne des § 224 Abs.1 Nr.5 StGB waren.
- b) Auch die festgestellten Verletzungen des Nebenklägers (diverse Hämatome im Gesicht sowie Einblutungen im Bereich des Mundes und an einem Ohr) sind kein Beleg einer lebensgefährdenden Behandlung im Sinne des § 224 Abs.1 Nr.5 StGB. Soweit dem Angeklagten Verletzungsfolgen zugerechnet werden konnten, ist nicht festgestellt, dass diese derart gravierend waren, dass sie nur Folge einer vorangegangenen lebensgefährdenden Behandlung sein konnten. Hinsichtlich des Ausmaßes der durch die ersten Schläge verursachten Verletzungen ist das Landgericht – gestützt auf die Angaben einer Zeugin – davon ausgegangen, der Nebenkläger habe „etwas am Auge und an der Lippe gehabt, was ein bisschen aufgeplatzt gewesen sei“. Bezüglich der vom Landgericht angenommenen nachfolgenden Gewalthandlungen teilen die Urteilsgründe mit, der Angeklagte habe „überwiegend“ auf die bereits verletzten Stellen in dessen Gesicht und an dessen Schädel geschlagen. Insgesamt habe der Sachverständige schließlich bei einer Untersuchung des Nebenklägers einen Tag nach dem Tattag Verletzungen festgestellt, die auf einem Lichtbild nach dem ersten Übergriff nicht vorhanden und die teilweise – im festgestellten Umfang – auf die Schläge des Angeklagten zurückzuführen waren. Hieraus lassen sich jedoch keine eine Verurteilung nach § 224 Abs.1 Nr.5 StGB tragenden Rückschlüsse auf die Gefährlichkeit der ersten oder der sodann folgenden Schläge ziehen; dass die Kumulation der sukzessive beigebrachten Verletzungen geeignet war, das Leben des Opfers zu gefährden, ist nicht festgestellt.
- c) Ihre Annahme, die Schläge des Angeklagten seien lebensgefährdend im Sinne des § 224 Abs.1 Nr. 5 StGB, wird auch nicht mit Blick auf Vorschädigungen des Nebenklägers belegt. Zwar ist auf Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen festgestellt, dass bei dem alkoholabhängigen Nebenkläger wegen dessen derangierter – auf einer Leberzirrhose beruhenden – Blutgerinnungssituation sowie wegen dessen Sturzneigung konkrete Risikofaktoren für das Auftreten von Blutungen bestanden. Den Urteilsgründen ist aber nicht zu entnehmen, wie sich diese Risikofaktoren in Bezug auf die Schläge des Angeklagten ausgewirkt haben. Denn die Strafkammer hat sich nicht davon zu überzeugen vermocht, dass die mit der „Blutgerinnungssituation“ im Zusammenhang stehende Subduralblutung des Nebenklägers durch Einwirkungen des Angeklagten verursacht wurde. Inwiefern die „Sturzneigung“ des Nebenklägers die Gefährlichkeit der vom Angeklagten geführten Schläge auch dann erhöht hat, wenn – wovon die Strafkammer gestützt auf Zeugenaussagen ausgeht – der Nebenkläger zum Zeitpunkt der Schläge jeweils saß, erhellt sich aus den Urteilsgründen nicht.
- Abgesehen davon genügen die Ausführungen des Landgerichts nicht den Anforderungen, die an den subjektiven Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung in der Alternative einer das Leben gefährdenden Behandlung zu stellen sind.
- a) Für den Körperverletzungsvorsatz im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB ist danach zumindest erforderlich, dass der Täter die Umstände erkennt, aus denen sich die allgemeine Gefährlichkeit des Tuns in der konkreten Situation für das Leben des Opfers ergibt. Dabei muss der Täter sie nicht als solche bewerten, jedoch muss die Handlung nach seiner Vorstellung auf Lebensgefährdung „angelegt“ sein . In Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit müssen bei der Annahme eines bedingten Verletzungsvorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens- als auch das Willenselement, in jedem Einzelfall besonders geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden.
- b) Dem wird allein die Feststellung, dass dem Angeklagten „die Alkoholerkrankung einschließlich der Leberzirrhose“ sowie der „hieraus resultierende schlechte Allgemeinzustand des Nebenklägers“ einschließlich dessen „Sturzneigung“ bekannt gewesen sei, nicht gerecht. Denn damit ist nicht dargetan, dass der Angeklagte über eine einfache Körperverletzung hinaus eine potentielle Gefährdung des Lebens des Nebenklägers erkannte und auch billigte. Angesichts des nicht im Einzelnen feststellbaren Tatgeschehens, der nicht ausschließbar mit der flachen Hand geführten Schläge gegen den sitzenden Nebenkläger und der dem Angeklagten sicher zurechenbaren Verletzungsfolgen (Hämatome im Gesicht, Einblutungen im Bereich des Mundes und an einem Ohr) konnte das Landgericht nicht davon ausgehen, dass sich die angenommene Gefährlichkeit der Behandlung – Schläge mit der flachen Hand – dem Angeklagten aufdrängen musste. Insoweit hätte es hier näherer Darlegungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten bedurft.
- c) Zu näherer Darlegung bestand auch deswegen Anlass, weil die „nicht auszuschließende mittelgradige Alkoholintoxikation“ und die festgestellte Persönlichkeitsstörung des Angeklagten geeignet waren, dessen Fähigkeit zu beeinflussen, die Umstände zu erkennen, aus denen sich die Gefährlichkeit des Tuns ergab, und unter Umständen der Beurteilung des kognitiven Vorsatzelements die Grundlage zu entziehen.
- Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Es ist nicht auszuschließen, dass Feststellungen getroffen werden können, die eine Verurteilung nach § 224 StGB tragen. Der Senat hebt das Urteil insgesamt auf, um dem neuen Tatgericht umfassende eigene Feststellungen zu ermöglichen.
- Das neue Tatgericht wird Gelegenheit haben, sorgfältiger als bisher geschehen herauszuarbeiten, welche Tat- bzw. Verletzungsfolgen dem Angeklagten zuzurechnen sind. Es wird gegebenenfalls auch Gelegenheit haben, widerspruchsfreie Feststellungen zu den Voraussetzungen der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) zu treffen; die Annahme, der Angeklagte sei therapieunwillig, ist mit der zugleich getroffenen Aussage, er strebe „eine Langzeittherapie“ an, jedenfalls nicht ohne Weiteres in Einklang zu bringen. Im Übrigen weist der Senat hinsichtlich der an ein Strafurteil zu stellenden Darstellungsanforderungen auf die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hierzu hin.